Co-Autor dieses Artikels ist Dr. Thomas Rischbeck.

Wie schafft es eine Schweizer Krankenversicherung eine Unternehmensarchitektur (EA) aufzubauen ohne dabei bürokratischer zu werden? In diesem Beitrag schildern wir anhand eines konkreten Projektbeispiels aus der SWICA Gesundheitsorganisation, wie EA als Dialoginstrument und Leitplanke die Digitalisierung unterstützen kann.

EA nimmt bei der Unterstützung der Digitalisierung eine Doppelrolle ein. Sie ist «Motorator» und wirkt zweifach:

1. als «Moderator» für übergreifende Dialoge, die ein gemeinsames Verständnis fördern
2. als «Motor», der die Beteiligten zur Mitarbeit bei der Entwicklung von Leitplanken aktiviert

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Ein pragmatisches Unternehmen im Wandel

SWICA hat eine ausgeprägte «Kultur des Anpackens». Die unbürokratische Arbeitsweise und die schnellen Entscheidungsprozesse auf höchster Ebene waren dem fortwährenden organischen Wachstum stets zuträglich. SWICA wurde damit Nummer eins bei der Kundenzufriedenheit. Mit steigender Grösse machten sich aber Wachstumsschmerzen bemerkbar: Projektleitende meldeten zunehmend Orientierungs- und Lenkungsbedarf an, und Abteilungen begannen ähnliche Probleme parallel auf unterschiedliche Weise zu lösen. Es fehlte ein Mechanismus, um die Stakeholder mit den nötigen Kontextinformationen zu versorgen.

Das Unternehmen war klassisch in funktionale Silos organisiert. Was während Jahrzehnten ein vorteilhaftes und effizientes Modell war, wurde zum Bremsfaktor. Im digitalen Zeitalter sehen die Kunden Unternehmen als Ganzes. Sie erwarten durchgängige Customer Journeys und konsistente Informationen über alle analogen oder digitalen Kanäle hinweg.

Die Digitalisierung erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit, gesamthafte Planung und Abstimmung. Die Silos müssen durchbrochen werden. Ein klassischer Anwendungsfall für EA.

Klare Prinzipien auf Augenhöhe erarbeiten und Transparenz schaffen

SWICA war es bei der Entwicklung ihrer EA ein zentrales Anliegen, den inhärenten Pragmatismus nicht zu verlieren. Weiter wollten die Verantwortlichen keine zusätzlichen Stabsstellen schaffen. Für uns Consultants stand deshalb von Anfang an fest: Wir entwickeln die EA nicht im stillen Kämmerlein, sondern mitten im Projektgeschäft. Sie sollte ihren Nutzen kontinuierlich und iterativ in Pilotprojekten und in den Fachbereichen entfalten – und von diesen allen getragen werden.  

Darauf basierend haben die Projektpartner gemeinsam folgende Prinzipien und Erwartungen an die EA formuliert. Die EA soll...
...Begeisterung und laufenden Nutzen bei den Projekten schaffen.
...die Vernetzung über alle Planungsebenen hinweg ermöglichen.
...iterativ entstehen und lebendig bleiben.

Wir haben eine einfache visuelle Darstellung der Geschäfts- und IT-Architektur etabliert und damit stakeholder-gerechte Veranschaulichungen geschaffen. Diese High-Level Prozesslandkarte förderte den fachbereichsübergreifenden Dialog und das gegenseitige Verständnis für Arbeitsweisen und Kompetenzen. Zudem deckte die Landkarte Doppelspurigkeiten und Inkonsistenzen auf. Um den Aufwand tief zu halten, haben wir Details nur dort vertieft analysiert, wo es für Projekte und Entscheidungen wesentlich war. So haben wir beispielsweise von den insgesamt 600 IT-Systemen nur rund 60 besonders geschäftsrelevante Applikationen erfasst.

Die unterschiedlichen Architektur-Ebenen haben wir untereinander vernetzt: Beispielsweise Geschäftsprozesse mit organisatorischer Zugehörigkeit, zugeordneten IKS-Kontrollen und unterstützenden Business- Applikationen; Customer Journeys mit den involvierten Abteilungen und Aktivitäten; Daten mit ihrem Schutzbedarf und ihrer Kategorisierung, bearbeitenden Prozessen und ICT-Systemen.

Vom Unterstützer zum Motorator

Für die Implementierung dieser Prinzipien in die gut funktionierende Organisation haben wir einen gremienbasierten Ansatz gewählt. Bei diesem ist die richtige Zusammensetzung eines interdisziplinären Teams entscheidend. Es muss aus Vertretern aller relevanten Abteilungen bestehen.

Dieses Team arbeitet am Anfang als Unterstützer und Prüfer unter der Leitung eines versierten Leaders. Dieser erarbeitet zuerst selbst Architekturresultate und zeigt damit den Weg auf. Nach und nach übernimmt das Team mehr Verantwortung und wird dadurch zum Selbstläufer.

In mehreren Phasen entsteht somit ein dezentrales Architektur-Fachgremium mit einem erfahrenen Fahnenträger als «Servant Leader» und einem aktiven «change-freudigen» Team. Damit es zum Motorator für bereichsübergreifende Veränderungen wird, muss das Gremium die nötigen Entscheidungskompetenzen erhalten und in den Strategie- und Projektportfoliomanagement-Prozessen eingebunden werden.

So wird EA zur Anlaufstelle für Projektverantwortliche und Abteilungen bei fachlichen Architektur- und Priorisierungsfragen. Sie liefert fachliche Erkenntnisse für die Strategiefindung, indem sie beispielsweise aufzeigt, welche Prozesse suboptimal laufen und warum. Zudem bricht sie die strategischen Massnahmen in Transformationsschritte herunter und zeigt damit unter anderem, wie sich eine organisatorische Änderung auf die Prozesse auswirkt. Weiter moderiert die EA die Lösungserarbeitung zwischen Abteilungen mit konkurrenzierenden Zielen, dadurch klärt sie etwa Verantwortlichkeiten in übergreifenden Customer Journeys. Ebenfalls beantwortet die EA Fragen von weiteren Fachstellen, wie zur Einstufung von Prozessen nach Geschäfts-Kritikalität.

Drei kritische Erfolgsfaktoren

Für das Gelingen der EA-Entwicklung ist ein Bekenntnis durch die Geschäftsleitung nötig. Bei SWICA war dies von Anfang an gegeben. Die Geschäftsleitung hat mit ihrer Unterstützung auch signalisiert, dass es beim Projekt nicht nur um IT, sondern um unternehmensweite gesamthaft abgestimmte Planung ging.

Mit der eingeführten EA entstand zunächst mehr Transparenz – einerseits über alle Ebenen hinweg, andererseits zwischen den Fachbereichen. Das ermöglichte Dialoge auf Augenhöhe.

Mit dem gremienbasierten Ansatz ergab sich letztendlich eine Disziplin, die als Selbstläufer operiert. Mit klaren Leitplanken schafft sie den Raum für dezentrale Entscheide und ermöglicht dadurch mehr agiles Arbeiten in den Projekten und Teams. So funktioniert die moderne und pragmatische Unternehmensarchitektur.